Der freundliche Mr Crippen | Roman by John Boyne

Der freundliche Mr Crippen | Roman by John Boyne

Autor:John Boyne [Boyne, John]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783037900512
Herausgeber: Oetinger E-Books
veröffentlicht: 2013-09-19T16:00:00+00:00


Es war ein Dienstagabend im Spätsommer, und Hawley spazierte allein durch den Garten ihres Hauses am Hilldrop Crescent. Die Hände in den Taschen, zog er mit der Schuhspitze Linien in die Erde. Cora war vor ein paar Stunden zu einem ihrer regelmäßigen Auftritte ins Majestic aufgebrochen, in dem roten Kleid, das ihn vor Monaten sechs Shilling gekostet hatte. In letzter Zeit hatte er es sich angewöhnt, die Praxis dienstags geschlossen zu halten und von Munyon’s direkt nach Hause zurückzukehren. Mit der Praxis verdiente er sowieso kaum noch Geld, auch wenn das nicht der Grund für seinen freien Tag war. Tatsächlich war es der einzige Abend in der Woche, an dem er das Haus für sich hatte, und er liebte die Ruhe und den Frieden, den ihm das verschaffte. In den letzten zwölf Wochen war es mit seinem Leben immer weiter abwärtsgegangen, und mittlerweile konnte er es kaum noch abwarten, bis endlich Schlafenszeit war, schenkte ihm doch allein der Schlaf noch Erleichterung von der Tretmühle des Alltags. Nur die ersten paar Sekunden morgens waren friedvoll, wenn er langsam erwachte, bevor ihm bewusst wurde, wie erbärmlich sein Leben geworden war. Die Ehe mit Cora war zwar von Beginn an ein Fehlschlag gewesen, dennoch konnte er sich kaum erinnern, sich je so elend gefühlt zu haben. Coras Leben schien sich nur mehr um zwei Dinge zu drehen: die Music Hall und die Sorge um Alec Heath. Auf das Majestic war er nicht so eifersüchtig, wusste er doch, dass sie dank dessen immer noch glaubte, eine Zukunft im Showbusiness zu haben, was er schon lange für einen bloßen Wunschtraum hielt. Mit Alec jedoch war es etwas anderes. Der Bursche schien es darauf anzulegen, ihm auf die Nerven zu gehen, und alles darzustellen, was Hawley nicht mehr war. Ständig präsentierte er sich als klarer Gegensatz zum alternden Hawley, was den vor Wut und Eifersucht kochen ließ.

Morgens war es am schlimmsten. Alec saß rauchend und mit bloßem Oberkörper am Tisch, ohne jeden Anstand oder irgendeine Form von Manieren. Sein muskulöser Körper wirkte wie ein unausgesprochener Tadel auf Hawley, der auf seinem Stuhl kauerte, an seinem Toast knabberte, an seinem Tee nippte und sich wie ein Fremder im eigenen Haus fühlte. Alec schien die Aufmerksamkeit zu genießen, die Cora ihm schenkte. Ihre Koketterie war kaum auszuhalten, wenn sie die Hand auf eine seiner nackten Schultern legte und dabei mit Hawley redete, der dem Kerl gern befohlen hätte, sich etwas anzuziehen oder oben in seinem Zimmer zu bleiben. Aber Hawley hatte Angst, dass sie ihn auslachen würden und er nichts zu seine Verteidigung vorbringen konnte. Also blieb er stumm, kochte vor Wut und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass der Junge sie verließ und ein anderes Paar fand, zwischen das er sich drängen konnte.

Immer noch hinten im Garten, hörte es Hawley vorn an der Tür klopfen und seufzte. Er sah auf die Uhr, es war erst Viertel nach acht. Weder seine Frau noch Alec sollten schon aus dem Majestic zurückkommen, es sei denn, sie wären plötzlich krank geworden und hätten ihren Schlüssel vergessen, was gleich ein doppelter Zufall wäre.



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